Ich habe schon erläutert, dass ich die Entwicklung des Speichenrades für kriegsrelevante Technologie halte und dass diese deshalb wohl zunächst geheim gehalten wurde. Erbeutete Räder können zwar nachgebaut werden, unterliegen aber auch dann zunächst der Geheimhaltung.
Aus dem differenzierten Fertigungsprozess und der Geheimhaltung resultiert wohl das Faktum, dass auch nach der Verbreitung der Technik des Speichenrades im gesamten griechischen und römischen Reich trotzdem im osmanischen Reich bis ins letzte Jahrhundert das Scheibenrad verbreitet war und dort sogar eine hochtechnologisierte Version entwickelt wurde.
Ein Speichenrad besteht aus drei grundsätzlichen Komponenten:
1. Nabe
2. Speichen
3. Felgen
Im Folgenden gehen wir von einem handwerklich gefertigten Rad eines dörflichen Wagners aus, der gesägte Felgentechnik benutzt.
1. Nabe
Sie sorgt mit ihrer Länge für einen stabilen Lauf des Rades auf der Achse. Das Problem ist, dass in der verdickten Mitte die Speichen eingefügt sind und die Nabe somit in ihrem Zentrum fast nur aus Löchern besteht.
Sie wird meist aus Eiche aus einem Stammabschnitt gedreht, vorgebohrt und gekocht. Dann kommt sie als Halbfertigprodukt in den Trocknungsprozess.
Naben werden für alle Wagentypen (Schubkarren einrädrig, Handwagen einachsig, Lastenwagen zweiachsig) in den verschiedenen benötigten Dimensionen vorgedreht und dann getrocknet.
2. Speichen
Mein Vater fertigte Speichen (und Leitersprossen) aus Akazie, was sehr witterungsbeständig und zäh ist. Speichenrohlinge werden aus einer Stammrolle gespalten, damit die Maserung durch die gesamte Speiche durchläuft. Danach wird sie grob ausgeformt und kommt in den Trocknungsprozess.
Die Speiche formt den Übergang zwischen dem rechteckigen Zapfen in der Nabe und dem runden Zapfen in der Felge. Wie der Speichenschnitt diesen Formübergang realisiert, macht die Handschrift des Wagners aus.
3. Felgen
Felgen werden aus Buchen- oder Eschendielen gesägt. Immer zwei Speichen werden in einer Felge gefasst. Damit die Maserung weder horizontal noch vertikal durch die Felge verläuft, was Brüche zur Folge hätte, darf nicht die zentrale Diele aus einem Stamm verwendet werden. Ab dem 3. Dielen von der Mitte des Stammes weg resultiert ein Maserungsverlauf von etwa 45 Grad durch die gesamte Felge. Damit ist garantiert, dass möglichst viele Maserungslinien durch die gesamte Felge verlaufen.
Speichensturz
Speichen stehen nicht senkrecht auf der Nabe, sondern sind in einem Winkel von 3-5 Grad geneigt.
Würden die Speichen senkrecht stehen, würde an einem voll beladenen Wagen die Nabe eines Rades beim ersten überrollten Stein oder Schlagloch vom Gewicht des Wagens aus dem Rad herausgeschlagen werden. Damit dies nicht geschehen kann, sind die Speichen nach außen geneigt. Die Schläge auf die Nabe kommen vom Wagen, also von der Innenseite des Rades her. Damit bei geneigten Speichen die Nabe aus dem Rad nach außen herausgeschlagen werden kann, müssten die Speichen zunächst senkrecht stehen, was der Reif um das Rad aber verhindert.
Sieht man sich das Rad eines Fahrrades an, stellt man die gekreuzten Speichen fest. Natürlich: die Schläge auf die Nabe kommen in diesem Fall von beiden Seiten.
Das Problem beim Wagenrad ist nun, dass die gesamte Last des Wagens auf geneigten Speichen steht. Die Lösung ist, die Achse um denselben Winkel wie der Speichensturz nach unten zu biegen, bzw. die Achse zu krümmen. Achsensturz = Speichensturz.
Dies hat 2 positive Effekte:
1. Die Last des Wagens steht nun auf senkrecht stehenden Speichen und
2. der obere Teil des Rades steht weiter vom Aufbau des Wagens ab, weshalb man den beladbaren Aufbau breiter machen kann.
… wird weitergeführt…